Gabriele Groschopp

Beißt sich die Katze in den Schwanz?

Wenn Jugendliche nach zehn, zwölf oder 13 Jahren endlich die Schule verlassen, träumen sie meistens „vom Geld“. Daß es „verdient“ werden muß, wissen sie inzwischen, also beginnt der Run auf eine Lehrstelle. Und spätestens hier kommt das große Erwachen und beginnt die Wirklichkeit.

Zu DDR-Zeiten gab es die Parole „Jeder (s)einen Beruf!“ Das hatte zur Negativfolge, daß selbst in Hilfsarbeiter-Berufen „gelernt“ wurde, aber zumindest hatte jeder Schulabgänger die Möglichkeit einen Beruf zu erlernen. Für viele, derzeit exakt für 25.000 allein in den neuen Bundesländern, ist selbst das heute ein Traum, obwohl ein gesetzlich verbrieftes Recht auf einen Ausbildungsplatz besteht.

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Das Bundesverfassungsgericht sprach am 10. Dezember 1980 in seinem Urteil zum Ausbildungsplatzförderungsgesetz von einer „spezifische Verantwortung“ der Wirtschaft für „ein ausreichendes Lehrstellenangebot“. Die Wirtschaft hat danach auch in konjunkturell schwierigen Zeiten im Rahmen ihrer unternehmerischen Verpflichtung dafür zu sorgen, daß alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen. Es wird darin weiter festgestellt, daß 12,5 Prozent mehr Ausbildungsplätze als Bewerberinnen und Bewerber sicherzustellen sind, um den Jugendlichen wenigstens eine geringe Auswahlmöglichkeit anzubieten.

Wie weit davon entfernt ist man 1996!

Alle Jahre wieder erobert das Problem des Lehrstellenmangels sämtliche Medien, allerdings erst zu einem Zeitpunkt, wo es fast zu spät ist. Es wird viel diskutiert, durchgreifende Ergebnisse sind kaum in Sicht und im Herbst scheint alles vorüber zu sein.

Doch in diesem Jahr wird deutlich, daß es sich nicht um ein vorübergehendes Problem handelt. Wir stehen am Anfang einer Dauerkrise, deren sozial-politische Langzeitwirkung der Bundeskanzler erkannt hat und die Lehrstellenfrage zu seiner Sache machen will. Immerhin kommen zu den fast 4 Millionen Arbeitslosen etliche dazu, die noch nie eine Chance hatten. Und: Bis zum Jahr 2005 werden die Schulabgängerzahlen steigen und einem weiter sinkenden Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen gegenüberstehen.

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Was die Wirtschaft nicht schafft, ruft die Gewerkschaften auf den Plan. Der DGB erarbeitete einen Vorschlag für eine solidarische Umlagefinanzierung, die einen finanziellen Ausgleich zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben schafft. Nichts anderes war auch der Inhalt des Gesetzes von 1980 (damals nannte man es Abgabe), mit dem die damals sozial-liberale Regierung einer eventuellen Lehrstellenknappheit vorbeugen wollte.

Gemessen an der Zahl der Beschäftigten wird eine Quote zwischen fünf und acht Prozent je nach Bedarf an Ausbildungsplätzen festgelegt. Wer diese Quote mit dem eigenen Ausbildungsplatz nicht erreicht, zahlt in einen Fonds ein und Betriebe, die über diese Quote hinaus ausbilden, erhalten je Ausbildungsplatz eine an den Durchschnittskosten orientierte Erstattung. Mit der im Fonds verbleibenden Restsumme werden Ausbildungsplätze bei qualifizierten Betrieben sozusagen „gekauft“. Die Fondseinzahlung orientiert sich an der Bruttolohnsumme und kann jährlich der Nachfrage angepaßt werden.

Diese solidarische Ausbildungsfinanzierung, das System des Ausbildungsfonds auf Bundes- oder Landesebene, praktiziert die Baubranche bereits seit 17 Jahren. Also ist dieser Vorschlag gut?

Er ist jedenfalls der einzige, den die an der Berufsbildung Beteiligten bisher überhaupt gemacht haben. Denn Lehrstellen-shearing (Biedenkopf) oder Absenkung der Ausbildungsvergütungen (BDI) führen, so der Kanzler, nicht dazu, „daß dadurch mehr Lehrlinge eingestellt werden“.

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So liegt nur der „Ausgleich“ auf dem Tisch, der vielleicht zwischen dem Handwerk, daß jährlich sein Ausbildungsplatzangebot steigert, und der Industrie, die sich immer weiter aus der Ausbildung zurückzieht, stattfindet.

Gestandene Handwerker indes sind nicht so richtig vom Sinn der Umlage überzeugt. Zum einen finden Sie es nicht richtig, daß diejenigen Unternehmen, die jahrelang schon über den Bedarf hinaus, sprich für die Straße, denn Arbeitsplätze stellen sie nicht zur Verfügung, Lehrlinge ausgebildet haben, nun auch noch finanziell belohnt werden. Zum anderen wäre es als „Strafabgabe“ zu werten, wenn Ausbildungsplätze zwar zur Verfügung gestellt, aber nicht besetzt werden können. Vor diesem Problem stehen immer mehr der etwa 670.000 Handwerksbetriebe in Deutschland. Der Grund hierfür ist einer oft einseitigen Berufswahl und dem Wunsch nach einem „Weiße-Kragen-Beruf“ geschuldet. Hier sind die Bildungspolitiker nicht schuldlos, denn lange haben sie den Jugendlichen vorgetäuscht, und in der Gehaltspolitik im öffentlichen Dienst praktiziert, daß nur mit einem Studium Karriere zu machen ist. Das führt dann dazu, daß handwerkliche Ausbildungsstellen mit guten Berufsperspektiven sowie einem gesicherten Arbeitsplatz nicht besetzt werden.

Des weiteren ist die überbetriebliche Ausbildung in den Bildungszentren des Handwerks schon jetzt solidarisch über die Kammern von allen Betrieben finanziert, auch von denen, die nicht ausbilden.

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Der Wunsch des Meisters ist die Lösung seiner betrieblichen Probleme, die Weitergabe seines Erfahrungsschatzes und die Sicherung eines Fachkräftenachwuchses für morgen. So klagen Handwerksmeister darüber, daß für Auszubildende im zweiten oder dritten Lehrjahr durch zwei Berufsschultage, überbetriebliche Ausbildung und Urlaub kaum noch Zeit für die praktische Ausbildung bleibt. Auch die Kosten für die Ausbildung seien in den letzten Jahren überproportional gestiegen. Hier könnte die Einhaltung der Zusage von Bund und Ländern, sich zu einem Drittel an den Kosten zu beteiligen, schon viel helfen.

Motivierend wären unter Umständen Steuererleichterung oder Ausbildungsprämien und konzentriertere Organisation der Berufsschultage.

Wenn der Kanzler in der Bundesanstalt für Arbeit locker forderte, daß Deutschland wieder eine „Existenzgründerwelle“ bekommt und „daß junge Leute sich wieder etwas zutrauen“, sind wohl mindestens zwei Anmerkungen nötig: Erstens hat Ostdeutschland seine Gründerwelle noch nicht verarbeitet und zweitens braucht, wer sich selbständig machen will, zumindest einen Beruf. Da beißt sich also wirklich die Katze in den Schwanz.

M&T Metallhandwerk SPEZIAL 8/96

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